Tage am Meer und ein Tag in Gelb

Zugegeben, man musste kein übermäßiger Radsportexperte sein, um zu prophezeien, dass die Tage des Grand Départ auf Korsika kurzweilig werden würden und das Gelbe Trikot während der ersten Tour-Woche ungewohnt häufig seinen Träger wechseln würde.

 

Als die Eröffnungsetappe fast 200 Kilometer lang dahinplätscherte und die Kollegen von Eurosport die gleichen Kalauer in Endlosschleife abspielten, drehte das Schicksal einfach an ein paar klitzekleinen Stellschrauben und schon war genau der Pfeffer in der Tour de France, der dieses Radrennen alljährlich zum größten mobilen Spektakel der Welt macht. Dass wir uns mit Marcel Kittel über den ersten Deutschen in Gelb seit fünf Jahren freuen durften, wurde nicht mal von der Gewissheit getrübt, dass er das Maillot Jaune wohl nur 24 Stunden behalten können würde. Korsika war für die drei Auftakttage eine außergewöhnliche Kulisse, außergewöhnlich schön und außergewöhnlich abwechslungsreich. Es wird bestimmt keine weiteren 100 Austragungen brauchen, ehe die A.S.O. auf das napoleonische Eiland zurückkehrt.
 
Apropos 100 Tour-Austragungen: Noch nie war Radsport im Fernsehen so präsent wie zur Jubiläumstour. Arte etwa zeigte eine gelungene fünfteilige Hommage an die mythischsten Anstiege der Tour (leider mit einem etwas tranigen Sprecher – der Synchronstimme von Daniel Craig/James Bond), Eurosport hat 280 Stunden Radsport im Programm (das sind vier Wochen lang täglich zehn Stunden!) … und selbst in einigen Tageszeitungen finden sich Artikel und Interviews, in denen es NICHT um Doping geht (hervorzuheben ist hier ein, wie ich finde, gelungenes ganzseitiges Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Rolf Aldag).
 
Auch in dieser Procycling finden Sie ein Interview, in dem das Thema Doping ignoriert wurde – mit Jan Ullrich. Manche mögen es für belanglos halten, wieder andere wundern sich vielleicht über die zeitliche aber nicht inhaltliche Nähe zum häufig zitierten Focus-Interview. Wir wissen, dass viele unserer Leser gerne lesen und sehen, wie es unserem einstigen Tour-Helden heute ergeht. Er hat unbestreitbar große  Fehler gemacht, er war oft schlecht beraten, doch er hat mir und auch vielen von Ihnen, einige der aufregendsten Sporterlebnisse als Zuschauer geschenkt. Deshalb freue ich mich, dass es ihm heute gut geht, er seine Krise überstanden hat und er bei unseren Ulle & Friends-Events dabei ist, wo wir Seite an Seite mit ihm Rad fahren können und ihm diese Ausfahrten mit uns Hobbyfahrern sogar Spaß machen.
 
Ich hoffe auch Sie haben Spaß an dieser Procycling.

Marcus Degen
Chefredakteur


Cover Procycling Ausgabe 114

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 114.

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