Stürze statt Siege

Diese Kolumne steht vor allem im Zeichen meiner Teilnahme an der Türkei-Rundfahrt.

 

Nachdem ich mir nach den Frühjahrsklassikern eine kleine Erholungspause gegönnt hatte, war die Presidential Tour of Turkey, wie das Etappenrennen am Bosporus mit vollem Namen heißt, nämlich mein einziger Einsatz in den vergangenen vier Wochen. Dabei entpuppte sich die Mehrtagesfahrt zwischen Alanya und Istanbul als knallhartes und vor allem äußerst umkämpftes Radsportevent. Eines könnt ihr mir glauben: Die Rundfahrt hatte es wirklich in sich!
Neben den Beinen waren dabei vor allem die Knochen gefordert: Ein Sturz jagte den nächsten und die acht Fahrer unserer Mannschaft lagen insgesamt neunmal am Boden – eine ungewöhnlich hohe Quote für eine Woche Rad fahren. Mich selbst erwischte es sogar gleich zweimal. Wenigstens passierte außer ein paar Hautabschürfungen und Kratzern am Renner nicht viel. Einen Tagessieg konnte ich so allerdings nicht verbuchen: Gleich zwei Mal wurde ich aufgrund der Unfälle der Chance beraubt, im Endspurt vorne mitzumischen. Ein zweiter Platz hinter dem Belgier Iljo Keisse (Omega Pharma – Quick-Step) auf der siebten Etappe war daher mein bestes Einzelresultat in der Türkei.

Warum es so viele Stürze gab? Das ist schwierig zu beantworten. Ich denke, es lag vor allem an der großen Zahl kleinerer Mannschaften, die bei dem Rennen am Start waren. Für diese Teams war die Rundfahrt der Kategorie 2.HC natürlich eine tolle Gelegenheit, sich auf hohem Niveau zu präsentieren und so reihte sich im Peloton ein Positionskampf an den nächsten. Dass das Rennen kein Zuckerschlecken werden sollte, mussten wir dabei schon zu Beginn feststellen, als es in die Berge ging: Je kleiner die Straßen wurden, desto mehr häuften sich die Schlaglöcher und der Asphalt verwandelte sich in eine raue, zähe Masse. Wir klebten wie die Fliegen am Fliegenpapier! Die Krönung waren dann die Abfahrten: Da waren Straßen dabei, die ich nicht ein zweites Mal hinunter fahren möchte. Mit an die 100 Sachen ging es über enge Buckelpisten und in den Kurven lag reichlich Rollsplit. Ich war wirklich beeindruckt, dass nicht mehr passiert ist.
 
All das soll natürlich keine Ausrede für den verpassten Tageserfolg sein. Beim nächsten Mal müssen wir uns einfach weiter vorne im Fahrerfeld behaupten, um unangenehme Zwischenfälle und Co. zu vermeiden – dann klappt es auch wieder mit dem angepeilten Sieg! Natürlich war die Türkei-Rundfahrt auch abseits der Strecke eine tolle und sehr prägende Erfahrung: Vor allem Istanbul gefiel mir wahnsinnig gut – eine wunderschöne Stadt. Als wir mit dem Feld über die riesige Bosporus-Brücke, die Europa mit Asien verbindet, fuhren, war das ein besonders beeindruckendes Erlebnis, an das ich mich immer erinnern werde.

Wenn ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich nun schon wieder in der Heimat. Für mich ist der Aufenthalt in Deutschland aber nur eine kurze Station, denn es geht direkt weiter in die Vereinigten Staaten zur Kalifornien-Rundfahrt. Dort hoffe ich erst einmal auf eine sturzfreie Fahrt und vielleicht klappt es hier auch wieder mit einem Etappensieg. Im Anschluss richte ich meinen Fokus dann bereits voll auf die Tour de France aus: In der spanischen Sierra Nevada werde ich ein längeres Höhentrainingslager absolvieren, um mich für die große Schleife in Topform zu bringen. Auf diese Form des Trainings reagiert mein Körper sehr gut – eine Erfahrung, die ich schon in der Vergangenheit, beispielsweise im italienischen Livigno, gemacht habe. Wie es mir in der Höhe und in Kalifornien erging – davon berichte ich euch dann in der nächsten Ausgabe dieser Kolumne!
 
Marcel Kittels Profi-Karriere startete Anfang 2011 bei Skil-Shimano. Mit 17 Siegen war der 23-Jährige erfolgreichster deutscher Sprinter der vergangenen Saison. Dieses Jahr wird er in jeder Ausgabe von seinem Rennalltag berichten.
 


Cover Procycling Ausgabe 100

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 100.

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