Die letzten Wochen

Die Tour de France steht vor der Tür. Wenn ihr diese Zeilen lest, verbleibt nur mehr eine Woche, ehe im belgischen Lüttich der Startschuss zum Prolog der 99. Frankreich-Rundfahrt fällt. In dieser Kolumne dreht sich daher auch bei mir alles um die Große Schleife, schließlich befand ich mich in den letzten Wochen in der finalen Vorbereitungsphase auf die Tour.

 

Unter anderem stand dabei die Kalifornien-Rundfahrt auf meinem Programm. Das Etappenrennen an der amerikanischen Westküste entpuppte sich allerdings als Paradies für die bergfesten Fahrer im Peloton, denn auf den meisten Etappen erwarteten uns mehr als 2.000 Höhenmeter. Ich war dennoch motiviert, in ein Finale zu kommen – allerdings reichte meine Bergform dazu noch nicht aus. Mein zweites Ziel, die Rundfahrt ordentlich zu beenden, konnte ich dann leider auch nicht verwirklichen: Während des Einzelzeitfahrens auf dem sechsten Abschnitt bekam ich nämlich muskuläre Probleme am linken Bein. Ich fühlte mich auf meinem Rad überhaupt nicht mehr wohl, und so entschlossen sich die Sportliche Leitung und ich dazu, vorzeitig auszusteigen. Das ist natürlich alles andere als toll, aber die Gesundheit geht hier natürlich vor – gerade wenn ein paar Wochen später die Tour de France beginnt. Wieder zu Hause, bekam ich viele Massagen und osteopathische Behandlungen, und erfreulicherweise war dann bald alles wieder gut.

Die schnelle Genesung kam auch gerade recht, denn im Anschluss stand mein entscheidendes Trainingslager für die Tour an: Von 25. Mai bis 12. Juni befand ich mich gemeinsam mit meinem Teamkollegen Tom Veelers in der Sierra Nevada, um in der Höhe an meiner Form zu feilen. Auch Rabobank und Movistar waren mit einigen Fahrern hier. Allerdings trainierte jeder sein Programm. Für mich als Sprinter macht es schließlich wenig Sinn, mit Kletterspezialisten wie Robert Gesink am Berg zu fahren – da wäre ich ja nach drei Stunden völlig kaputt.
 
Wie lief unser Höhentrainingslager also ab? In den ersten Tagen war alles noch ganz entspannt, schließlich ging es erst einmal darum, sich an die Höhe zu gewöhnen. Man merkt die dünne Luft anfangs schon beim Treppensteigen, und unsere Einheiten waren dementsprechend ganz locker und dauerten nicht länger als zwei Stunden. Nach rund einer Woche wurden die Umfänge dann gesteigert, ehe im letzten Teil auch viele Intensitäten auf dem Plan standen. Meistens fuhren wir dabei hinunter auf niedrigere Höhenlagen, um dort zu trainieren. In der Höhe selbst wird nur geschlafen. Für uns Sprinter macht diese Art des Trainings einfach mehr Sinn, da wir unsere Resultate im Flachen bringen und nicht auf 2.000 Meter attackieren müssen. Ich persönlich reagiere dabei sehr gut auf die Höhe – allerdings ist das nicht bei allen Sportlern so, nicht jeder Körper ist schließlich gleich.

Gerne würde ich euch auch von einem Erlebnis abseits des Sattels berichten, allerdings gibt es in der Sierra Nevada im Sommer nicht wirklich viel zu erleben. Die Bürgersteige sind hier im wahrsten Sinne des Wortes definitiv hochgeklappt, und zwischen den zahlreichen Hotels kann man nicht mal einen Kaffee trinken. Gerade am Anfang, als unsere Einheiten noch nicht so lang waren, war es daher etwas langweilig, und so war ich echt froh, dass ich mir im Vorfeld einige „Top-Gear“-Folgen auf das Notebook geladen hatte und mir so die Zeit etwas vertreiben konnte.

Nun aber zur weiteren Tour-Vorbereitung: Nach dem Trainingslager ging es darum, mit einigen Rennen die entscheidende Tempohärte für die Tour zu trainieren. Vergangene Woche bestritt ich daher die  Ster-ZLM-Tour, ein fünftägiges Etappenrennen in den Niederlanden, ehe an diesem Wochenende die Deutschen Meisterschaften anstehen. Im Anschluss an diese geht es für mich direkt nach Frankreich, und ich konzentriere mich nur mehr auf die am 30. Juni beginnende Tour de France. Ich bin schon richtig gespannt, was mich bei meiner ersten Teilnahme an der Großen Schleife erwartet. Sportlich lasse ich die ersten Etappen dabei erst einmal auf mich zukommen. Mein Ziel ist es, gut ins Rennen hineinzufinden. Im Flachen wollen wir dann natürlich schon zeigen, was wir können – und vielleicht bietet sich ja auch einmal die Chance auf einen Etappensieg …
 
Marcel Kittels Profi-Karriere startete Anfang 2011 bei Skil-Shimano. Mit 17 Siegen war der 24-Jährige aus Arnstadt erfolgreichster deutscher Sprinter der vergangenen Saison.
 


Cover Procycling Ausgabe 101

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