Kalte Klassiker

Entweder eisige Kälte oder eine jede Trikotschicht durchdringende Nässe und manchmal sogar beides zusammen – die diesjährige Klassikersaison war in Sachen Witterungsbedingungen schon einmalig unangenehm. Bereits bei Tirreno – Adriatico merkte ich, dass ich mit diesem Wetter überhaupt nicht klarkomme. Das Pech mit den äußeren Umständen zog sich im Anschluss von einem Rennen bis zum nächsten durch den gesamten letzten Monat. Einzig bei der Flandern-Rundfahrt gelang uns ein gutes Teamresultat. Aber von Anfang an …

 

Mein erster Höhepunkt in der noch jungen Saison sollte eigentlich Mailand – San Remo werden. Doch von „La Primavera“, wie das Rennen mit Beinamen oft genannt wird, war leider nichts zu spüren. Statt einer Fahrt in den Frühling wurde es ein Ritt durch den Winter: Eisregen, Schneeschauer und Temperaturen um den Gefrierpunkt ließen in mir schnell die Erkenntnis wachsen, dass es an diesem Tag für mich nichts zu holen geben würde. Ich denke einfach, dass das an meiner Statur als Sprinter liegt: Wenn man so muskelbepackt ist, muss der Körper entsprechend mehr Energie aufbringen, und das kostet dann die entscheidende Kraft. Aber gut: Alle Fahrer haben die gleichen Bedingungen und besitzen somit die gleichen Chancen, das Beste daraus zu machen.
Das Glück blieb uns leider auch in den folgenden Rennen verwehrt: Bei Gent – Wevelgem lag es allerdings nicht am Wetter, sondern an der Taktik: Aufgrund eines Defekts verpassten wir im Finale trotz harter Arbeit die entscheidende Spitzengruppe, und so konnte ich am Ende nur den Sprint der Verfolger für mich entscheiden. Auch beim kurzen Etappenrennen „Drei Tage von De Panne“ blieb uns eine Spitzenplatzierung verwehrt.
 
Es gab aber auch schöne Momente in meinem vergangenen Radsport-Monat – zum Beispiel bei der Flandern-Rundfahrt: Nach dem vielen Pech, das wir zuvor hatten, wollten wir bei der Ronde unbedingt eine der mitbestimmenden Mannschaften sein. Und das ist uns gelungen: Wir waren in jeder Fluchtgruppe vertreten und spielten in allen entscheidenden Rennsituationen eine Rolle. Die Belohnung war schließlich der dritte Platz von Jürgen Roelandts. Für mich war es eine große Genugtuung zu sehen, dass unsere Teamtaktik so gut funktioniert hat. Jürgen war unser Kapitän für dieses Rennen und hatte die Unterstützung auch entsprechend verdient. Er ist für mich auf jeden Fall einer der besten Klassikerfahrer im Peloton, und so konnte ich ihm auch einmal etwas zurückgeben – er arbeitet ja schließlich auch sehr oft für mich.
Den Abschluss meiner Frühjahrsklassiker-Reise bildete schließlich Paris – Roubaix. Ähnlich wie in Flandern wollten wir ein aggressives Rennen bestreiten, allerdings bekamen wir es mit zwei harten Gegnern zu tun: einem starken Gegenwind und dem RadioShack-Team um Fabian Cancellara. Ersterer sorgte dafür, dass es zu Beginn ungewöhnlich wenige Attacken gab, Letz-teres dafür, dass es die Fahrer, die es trotzdem versuchten, noch schwerer hatten. Ich selbst probierte kurz vor dem Wald von Arenberg in die Spitzengruppe vorzufahren, allerdings war das alleine gegen den Wind ein hoffnungsloses Unterfangen. Sehr bald fiel ich wieder ins Peloton zurück, und als ich bald darauf einen Defekt erlitt, war das Rennen für mich gelaufen. Leider erwischten auch Jürgen zwei Pannen, und der Rest des Teams war ebenso wenig vom Glück gesegnet. Sibi [Marcel Sieberg] landete schließlich als unser bester Mann auf Rang 24 – da hatten wir uns im Vorfeld definitiv mehr erhofft.
Jetzt geht es erst einmal darum, den angestauten Frust der letzten Wochen zu vergessen: Mit meiner Familie verbrachte ich deshalb im Anschluss an die Hölle des Nordens eine Urlaubswoche in Portugal, ehe ich bei der Türkei-Rundfahrt ins Renngeschehen zurückkehre. Das Rennen am Bosporus will ich dazu nutzen, meine Form neu aufzubauen. Am 1. Mai starte ich dann bei Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt. Bis zum nächsten Mal!
 
André Greipel ist seit 2005 als Berufsfahrer im Peloton unterwegs und zählt zu den schnellsten Sprintern der Welt. Seit 2011 trägt der Rostocker das Trikot der belgischen Lotto-Belisol-Mannschaft.


Cover Procycling Ausgabe 111

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