Alle Zeit der Welt und noch viel vor sich

Geduld und Reife sind nicht unbedingt Charakterzüge, die einem in den Sinn kommen, wenn man an junge, äußerst talentierte Profi-Fahrer denkt. Bei Tejay Van Garderen liegt die Sache anders. Nun steht der 24-jährige Amerikaner unmittelbar vor dem großen Sprung.

 

Als sich Procycling bei der Vuelta 2010 erstmals mit Tejay Van Garderen traf, war besonders beeindruckend, dass er diese Tugenden fast schon im Überfluss besaß. Zwei Jahre später stellte er dies bei der Tour eindringlich unter Beweis, als er seinem schwächelnden Kapitän Cadel Evans über die qualvollen Berge half. Dadurch setzte sich der junge Mann aus dem Bundesstaat Washington selbst auf die Liste der Favoriten für zukünftige Austragungen – vielleicht sogar bereits in diesem Jahr. „Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn man bereit ist, dann muss man die Chance ergreifen“, so der designierte Leader bei BMC. Die Tour de France ist die richtige Bühne, um sich als neue ernstzunehmende Kraft zu präsentieren. Fragen Sie nur mal Pierre Rolland. Mit seinem beeindruckenden Sieg in L’Alpe d’Huez vor zwei Jahren katapultierte er sich in die Herzen der französischen Radsportfans, und sein Marktwert schoss durch die Decke. Seine Darbietung war mitreißend und wirkte so lässig, dass ihm nicht nur die hinteren Seiten der französischen Tageszeitungen sicher waren, sondern auch die Titel.

Tejay Van Garderens große Premiere hätte unterschiedlicher nicht sein können. Auf der 11. Etappe der letztjährigen Tour fuhr er sich ins Rampenlicht, als er seine eigenen Ambitionen aufgab und sich zurückfallen ließ, um seinen schwächelnden Kapitän Cadel Evans auf dem Weg nach La Toussuire zu eskortieren. Mit erst 23 Jahren half er dem amtierenden Champion dabei, einen letzten Rest Hoffnung auf die Titelverteidigung zu wahren. Er verwischte die Grenze zwischen Meister und Schüler, vielleicht das erste Mal auf einer solch großen Bühne, und bewies dadurch, mehr zu sein als ein weiterer gehypter Youngster. Mit seinem kraftvollen Ritt demonstrierte er an jenem Tag vielmehr vor allem eines: Mit ihm würde zu rechnen sein. Und zwar schon bald. Die Lücke zwischen den beiden wurde mit jeder Etappe in Richtung Paris kleiner, und spätestens nach den Pyrenäen war klar, dass BMC seinen Topfahrer eigentlich in Van Garderen hatte. Die Gesamtwertung sprach Bände: Evans, amtierender Champion, landete auf dem siebten Platz, 15:49 Minuten hinter Bradley Wiggins. Van Garderen war Fünfter und fast fünf Minuten schneller. Eines der großen Fragezeichen dieser Tour steht hinter der Frage, was möglich gewesen wäre, hätte er früher die nötigen Freiheiten bekommen.

Betrachtet man seine jüngsten Aussagen, scheint es unwahrscheinlich, dass diese Frage noch einmal aufkommt. Durch seinen Sieg 2011 hat Evans bei BMC noch immer einen Stein im Brett, und so, wie das Team über seine gesundheitlichen Probleme spricht, die ihm vor und während der Tour 2012 zu schaffen gemacht haben, deutet alles darauf hin, dass er in Korsika wieder als Kapitän an den Start gehen wird. Van Garderen wird erneut an seiner Seite stehen. Ob als Helfer oder Alternative, wird das Rennen zeigen. „Cadel ist noch immer das Maß der Dinge, aber die Gewichtung hat sich meiner Meinung nach etwas verändert“ – so äußerte er sich im März gegenüber Procycling. „Wie im letzten Jahr bin ich da, um ihm zu helfen, aber sollte er wieder Probleme bekommen, sieht das Team in mir durchaus eine Alternative. Damals wussten wir nicht, wie viel mir zuzutrauen ist, und es war eigentlich eine klare Sache, dass Cadel bei seinen Problemen auf der Etappe nach La Toussuire nur einen schlechten Tag hatte und es danach trotzdem aufs Treppchen schaffen würde. Außerdem hätte ich einfach nur einen besonders guten Tag erwischt haben können, und wir konnten nicht einschätzen, ob ich das Niveau drei ganze Wochen durchhalten würde. Jetzt wissen alle, dass ich damit klarkomme. Vielleicht muss ich in diesem Jahr nicht warten.“

Van Garderen hat zu viel Respekt, sowohl vor Evans als auch vor der teaminternen Hierarchie bei BMC, um einen Putsch zu versuchen, und wieder zeigt sich seine Geduld als guter Ratgeber. Man sollte nicht vergessen, dass es sich um den Fahrer handelt, der 2008 einen Wechsel zum damaligen Nummer-eins-Team HTC-Columbia ausschlug, um seinen Vertrag bei der Nachwuchsmannschaft von Rabobank zu erfüllen und seine Ausbildung abzuschließen. Der Amerikaner fühlte sich damals nicht bereit für diesen Schritt und war zufrieden damit, auf die richtige Gelegenheit zu warten. Aus seinen Aussagen bei der Teamvorstellung von BMC 2013 lässt sich heraushören, dass er jetzt ähnlich empfindet. Er betrachtete seine Leistung bei der Tour 2012 nüchtern: Auch wenn er schlussendlich auf Position fünf lag und das Weiße Trikot sein Eigen nennen durfte, lag er noch immer elf Minuten hinter Bradley Wiggins, und es war somit noch Luft nach oben. Vielleicht ist er dabei jedoch zu bescheiden zu erwähnen, dass er diese Leistung als Evans’ unermüdlicher Helfer gebracht hatte – und nicht als Leader. Dieses nicht vorhandene Ego wird besonders deutlich, wenn er davon spricht, dass seine Taktik dieses Mal sein wird, „sich an das bestmögliche Hinterrad zu hängen“.

Es ist ein bestimmendes Charaktermerkmal dieses so durch und durch entspannten jungen Mannes, seine eigene Qualität herunterzuspielen. Er kam nicht nur „damit klar“, wie er es selbst bezeichnete, als er nach der Bürde seiner Verantwortung im letzten Jahr gefragt wurde, sondern er wurde mit jeder Etappe besser. Am Ende musste er sich im letzten Zeitfahren, welches bekannterweise jede Schwäche schonungslos offenlegt, nur den Fahrern ganz oben in der Gesamtwertung geschlagen geben: Wiggins und Chris Froome. Mit 24 steht ihm noch ein gutes Jahrzehnt Rennsport bevor, und seitdem er neun Jahre alt ist, träumt er von einem Sieg. Van Garderen strahlt ein nüchternes Selbstbewusstsein aus, und er weiß, dass dieser Sieg im Rahmen seiner Möglichkeiten liegt. Er will mit dem Rennen einfach nur warten, bis er richtig laufen kann.

Im späten März, beim Critérium International in dem kleinen Ort Porto-Vecchio auf Korsika, traf sich Procycling mit Tejay Van Garderen. Das Rennen befindet sich seit Jahren auf Wanderschaft und hat keinen wirklichen Standort gefunden. 2010 wurde es von den Besitzern ASO aus den Ardennen hierher verlegt, um den Ort bei seiner Bewerbung um den Grand Départ der Tour zu unterstützen. Auftrag ausgeführt, Checkliste abgehakt: Das Vorzeigerennen landet im Juni zum ersten Mal auf der Insel. Den Beginn markieren drei Etappen, die die bergige Vulkanlandschaft einmal komplett durchqueren. Der Grand Départ wird in Porto-Vecchio stattfinden, und das macht das Critérium International 2013 umso bedeutender. Da es beim Gastspiel der Tour auf Korsika einige Anstiege zu bewältigen geben wird, nutzten Teams wie Sky, BMC und Saxo-Tinkoff die Gelegenheit, den Wettbewerb mit einer ersten Erkundung der Tour-Etappen zu kombinieren. BMC warf dabei einen besonderen Blick auf die dritte Etappe mit ihren furchterregenden 145 Kilometern von Ajaccio nach Calvi. Van Garderen hat dann einen recht anstrengenden Arbeitstag vor sich.

Das Frühjahrsrennen ist auch das erste und zugleich letzte, welches er mit Evans vor der Tour bestreiten wird. Es markiert einen Taktikwechsel, denn 2012 fuhren die beiden noch den größten Teil der Rennen im Vorfeld zusammen. Selbst das unmittelbare Vorprogramm der Tour, das Critérium du Dauphiné und die Tour de Suisse, werden sie nicht gemeinsam angehen. Damit belegt das Management auch seinen Glauben an Van Garderen und gibt ihm die Chance, um Siege mitzufahren und als Topfahrer im Rampenlicht zu stehen, vor allem im Hinblick auf Juli – und für den Fall, dass es dann eine Lücke zu füllen gibt. Der Nachwuchsmann gewöhnt sich immer besser an diese Rolle und fühlt sich nicht erdrückt von der Last, die sie mit sich bringt. „Führungsaufgaben würden nicht anstehen, wenn ich es nicht so wollte, und das Team hat mir nie Aufgaben übertragen, von denen es wusste, dass ich sie nicht würde bewältigen können. Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn man bereit ist, dann muss man die Chance ergreifen. Ich werde ihnen sagen, wenn ich bereit bin.“

Zwar beharrt BMC darauf, Evans als Kapitän in die Tour zu schicken, doch es ist nur schwer zu glauben, dass diese Entscheidung in Stein gemeißelt ist, insbesondere, wenn man sich den bisherigen Saisonverlauf bis April anschaut. Der Amerikaner zeigte eine ordentliche, wenn auch unspektakuläre Leistung bei Paris – Nizza und gab sich zufrieden, obwohl er „mit einigen großen Zielen gestartet war“. Evans hingegen erlebte ein Tirreno – Adriatico zum Vergessen. Er bekam jedes Mal Probleme, wenn es an die Substanz ging, und lag am Ende fast zehn Minuten hinter dem Sieger Vincenzo Nibali. In Porto-Vecchio beim Critérium International verlor er beim Zeitfahren der zweiten Etappe auf nur sieben Kilometern 46 Sekunden auf den Sieger Richie Porte. Auch auf dem dritten, bergigen Abschnitt, den Sky in Person von Froome dominierte, hatte er Probleme. Van Garderen schlug sich wesentlich besser, setzte sich im Zeitfahren gegen Froome durch und sicherte sich das Weiße Trikot.

Steht das Team BMC also hinter dem falschen Fahrer, und wird es zu einem Umdenken kommen? Selbst wenn, würde Evans dies einfach so akzeptieren? Die Antwort auf beide Fragen lautet offensichtlich nein, aber man sollte abwarten, was die Zeit bringt. Ganz klar ist, dass die Karrieren der beiden momentan entgegengesetzt verlaufen – Evans hat den Gipfel bereits überschritten, und Van Garderen ist noch auf dem Weg nach oben. Sind sie sich bereits begegnet? Alle Zeichen deuten darauf hin, doch Evans’ Trumpf sind noch immer seine bereits errungenen Erfolge. Trotz all seiner Probleme und Van Garderens kometenhaftem Aufstieg liegt der Australier als ehemaliger Tour-Sieger und Weltmeister noch immer vorn, sofern man den Palmarès als Grundlage annimmt. Van Garderen kann zwar einige sehr gute Ergebnisse vorweisen, doch als Gewinner hat er sich noch kaum profiliert  – bislang stehen in seiner vierjährigen Profi-Karriere erst zwei Solosiege zu Buche.

Dies könnte sich schon bei der Tour of California ändern. In den letzten beiden Jahren war er dort Fünfter und Vierter, und die Frage scheint nicht zu sein, ob er es aufs Podium schaffen kann, sondern eher, auf welcher Stufe er denn stehen wird. Das Rennen liegt ihm am Herzen – nicht nur, weil er Amerikaner ist, sondern auch, weil er dort seine erste (schmerzhafte) Erfahrung gesammelt hat, wie erbarmungslos der Profi-Radsport sein kann.

 

Van Garderen erinnert sich an die harte Arbeit, die er für das US-Nationalteam 2007 bewältigen musste: „Ich weiß noch – so hatte ich davor noch nie gelitten. Ich habe es ungefähr bis zur Hälfte der vierten Etappe geschafft, bis ich irgendwann einfach nicht mehr in die Pedale treten konnte. Ich kam direkt aus dem Juniorenbereich, und es war mein erstes Mal ohne Übersetzungsbeschränkung! Ich hatte mich übernommen. Es hat trotzdem Spaß gemacht, meine Grenzen auszuloten. Levi Leipheimer und Jens Voigt standen auf dem Podium und Paolo Bettini in seinem Weltmeistertrikot. Es war ein unglaubliches Gefühl, mit diesen Jungs an den Start zu gehen.“

Seitdem hat die Hoffnung von BMC große Fortschritte gemacht, doch wenn seine körperlichen Voraussetzungen auch außer Zweifel stehen, geht es im Radsport doch um viel mehr. Hat Van Garderen den nötigen Killerinstinkt, die Eigenschaft, welche die Champions vom Rest unterscheidet? Beim Fotoshooting für Procycling bat ihn unser Fotograf, seine wütende Seite zu zeigen – mit gemischten Ergebnissen. Er ist beispielsweise kein Andrew Talansky – dessen kehliger Schrei nach dem Sieg auf der dritten Etappe von Paris – Nizza wäre vom deutlich zurückhaltenderen Van Garderen in derselben Situation nicht unbedingt zu erwarten. Aber nur weil er solche Emotionen nicht derart offen zeigt, heißt es nicht, dass sie nicht da wären und ihn nach vorne trieben. Wie alle Champions hat er den nötigen Tunnelblick, den man einfach braucht, will man es ganz nach vorn schaffen. Den Ausdruck „nur darauf konzentrieren, was ich tue“ könnte man beinahe als Van Garderens Mantra bezeichnen. Diese Eigenschaft, alles andere auszublenden und sich einzig darauf zu konzentrieren, sich zu verbessern, ist entscheidend, will man seine selbst gesteckten Ziele erreichen.

Van Garderens großes Ziel ist die höchste Stufe auf dem Treppchen bei den prestigeträchtigsten Rennen der Welt, und eine gute Gelegenheit, aus der Deckung zu kommen – sowohl für ihn als auch für BMC –, wäre die diesjährige Tour of California. Das Ziel des Rennens liegt in der Heimatstadt des Teams, Santa Rosa. Sollte er gewinnen, wäre dies ein weiterer Schritt bei seinem konti-nuierlichen Aufstieg in der Hackordnung. Noch dazu scheint die Austragung die härteste der Geschichte zu werden: Es gibt eigentlich keine Flach-etappen, und selbst das 31 Kilometer lange Zeitfahren auf der sechsten Etappe wartet am Ende mit einem Anstieg von 287 Höhenmetern auf. Dieses Mal gibt es keine Bergankunft auf dem Mt. Baldy, wo in den letzten beiden Jahren die Entscheidung fiel, dafür können sich die Fahrer auf mörderische 17 Kilometer Aufstieg auf den Mt. Diablo freuen.

Van Garderens Siegeshoffnungen schwanden letztes Jahr bei der vorletzten Etappe auf den Mt. Baldy, als er aus einer Gruppe mit dem späteren Gewinner Robert Gesink und seinen Landsmännern Tom Danielson, Dave Zabriskie und Joe Dombrowski zurückfiel. Er konnte den Anschluss nicht wiederherstellen und fiel vom zweiten auf den vierten Platz zurück – seine schlussendliche Platzierung. Wie man es von ihm erwarten würde, betrachtete er die Ereignisse realistisch, und auch, wenn er enttäuscht war, das Podium verpasst zu haben, war er sich bewusst, dass seine Karriere noch ganz am Anfang stand: „Die Sache ist: So funktioniert es nun einmal nicht“ – so äußerte er sich im Rückblick auf seine Annahme nach dem dritten Platz bei der Dauphiné 2010, nun würden die Siege regelmäßig kommen. „Man muss weiter hart arbeiten. Eines Tages wird es sich auszahlen und ich werde gewinnen. Es ist nur schade, dass es nicht jetzt passiert ist.“

Van Garderens Stern geht für den amerikanischen Radsport zur rechten Zeit auf, schließlich hat die USADA so einige Leichen im US-Postal-Keller entdeckt. Die Vergehen der Armstrong-Ära betrafen eben nicht nur den Texaner selbst, sondern auch andere Fahrer wie Levi Leipheimer, Dave Zabriskie, Christiane Vande Velde und Tom Danielson. Man darf darauf gespannt sein, wie die Fans auf ihre Rückkehr nach Kalifornien diesen Mai reagieren werden. Ebenso bedeutsam wird sein, ob die Enthüllungen Auswirkungen auf das Rennen selbst und auch auf das Interesse bei den Zuschauern haben werden – immerhin ist es die erste Ausgabe, seitdem die ganze Sache ans Licht gekommen ist. Van Garderen will sich nicht festlegen: „Wir müssen bis Kalifornien warten, um das zu beantworten. Sollten wir dort ankommen und der Straßenrand wird leer sein – was ich nicht glaube –, dann können wir vielleicht sagen, dass die Beliebtheit gelitten hat, aber das kann man nicht wirklich sagen, bis wir dort sind.“

Glaubt er, dass er selbst etwas tun kann, um den Ruf des Radsports zu verbessern? „Alles, was ich tun kann, ist, mich auf mich selbst zu konzentrieren. Es liegt am Radsport insgesamt, etwas zu unternehmen, und den Grundstein dazu muss jeder selbst legen, indem er sich sagt: ‚Ich werde es nicht tun [dopen], weil ich nicht daran glaube.‘ Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, diesen Weg nicht einzuschlagen, und meine Kollegen werden hoffentlich dasselbe tun. Dann werden es auch die Fans langsam wahrnehmen. Die einzige Gewissheit, die ich momentan brauche, ist: Ich bin clean, ich bringe Leistung, und ich liege nicht weit hinter der Weltspitze.“ Als wir ihn nach der momentanen öffentlichen Meinung zum Radsport in den USA fragen, gibt er zu, vielleicht nicht der beste Ansprechpartner zu sein: „Ich beschäftige mich nicht allzu viel mit den Medien, mein Fokus liegt zu sehr auf mir selbst. Ich habe das Interview bei Oprah geschaut, weil ich bei der Tour de San Luis war. Das hat doch für einigen Wirbel gesorgt, und ich respektiere Armstrong dafür, alles ehrlich zugegeben zu haben. Ich denke, nun ist der richtige Zeitpunkt gekommen, nach vorn zu blicken.“

Nach vorn zu blicken fällt leichter, wenn man etwas hat, woran man glauben kann, und Van Garderen ist keinesfalls der alleinige Hoffnungsträger der amerikanischen Fans. Auch die Auftritte von Andrew Talansky von Garmin-Sharp, 2012 Zweiter bei der Tour de Romandie und dieses Jahr bei Paris – Nizza (vor Van Garderen), lassen auf eine bessere und glaubhaftere Zukunft für den amerikanischen Radsport hoffen und helfen dabei, die Erinnerungen an US Postal zu verdrängen. Von Talansky abgesehen, glaubt Van Garderen, dass die USA sich auf den talentierten jungen Kletterer Joe Dombrowski, welcher im Winter von Sky unter Vertrag genommen wurde, freuen können: „Ich bin gespannt darauf, wie er sich schlägt, und ich denke, später im Jahr werden wir seinen Namen öfter lesen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich glaube, der amerikanische Radsport hat momentan gute Gründe, sich zu freuen.“ Sein Eindruck wird von seinem Teamkollegen Taylor Phinney geteilt, der sich während Tirreno – Adriatico gegenüber Cyclingnews.com äußerte und sagte, es läge an dieser neuen Generation, den Sport herauszubringen „aus der Asche der Vergangenheit … Die Zeit, den Ruf des Radsports wiederherzustellen, ist gekommen“.

Nimmt man Fahrer wie Tyler Farrar, Ben King und Alex Howes hinzu, scheint der professionelle Radsport in den USA momentan gut aufgestellt zu sein. Die Zusammensetzung kann dem US-Team bei der diesjährigen WM in der Toskana vielleicht sogar einen Überraschungscoup ermöglichen. Es heißt, es sei die härteste Route seit Bernard Hinaults Sieg in Sallanches 1980, und obwohl Van Garderen nicht glaubt, dass er dort seine Stärken ausspielen kann, traut er einem seiner Landsmänner einiges zu: „Alex Howes wäre phänomenal. Er hat bei einigen harten Eintagesrennen vielversprechende Leistungen gezeigt – hätte ich etwas zu sagen, würde ich ihm meine Stimme als Kapitän geben.“ Howes ist auf diesem hohen Niveau sicherlich noch grün hinter den Ohren, aber sollte er das US-Team wirklich anführen, wäre ihm starke Unterstützung sicher.
 
Diese Saison könnte für Van Garderen entscheidend werden, denn vielleicht ist es das Jahr, in dem er den Sprung an die Spitze des Sports machen wird. Wird er es endlich auf das Podium der Tour of California schaffen? Könnte er vielleicht sogar gewinnen? Wird sich BMC gezwungen sehen, die Rangordnung bei der Tour zu überdenken? Mitte des Sommers werden wir die Antworten kennen, und Van Garderens zukünftige Karriere wird in einem neuen Licht erscheinen.

Eine Frage, die bereits zweifelsfrei beantwortet wurde, ist, ob er das nötige Talent besitzt, auch die größten Rennen zu gewinnen. Sollten noch Restzweifel bestehen, sollte man sich vor Augen halten, dass der letzte Fahrer, der in einem so jungen Alter eine so gute Platzierung bei der Tour erreichen konnte, Jan Ullrich im Jahr 1996 war. Van Garderens große Chance auf das Gelbe Trikot kommt vielleicht nicht in diesem Jahr, aber man hat den Eindruck, dass das für ihn durchaus in Ordnung ist. Er hat keine Eile, und auch wenn er vielleicht nicht alle Zeit der Welt hat, so ist sie doch auf seiner Seite.



Cover Procycling Ausgabe 112

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 112.

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