Die beste Tour aller Zeiten?

Bei der Tour 1964 traten der vierfache Sieger Jacques Anquetil und sein Erzrivale Raymond Poulidor gegeneinander an. War es die beste Tour aller Zeiten oder ein Rennen voller Fehler? Procycling geht der Sache nach.

 

Im Jahr 2005 traf sich eine Gruppe angesehener Journalisten in Paris, um die beste Tour de France aller Zeiten zu wählen. Auf die Idee gekommen war Xavier Louy, Direktor der Rennen von 1987 und 1988. Als einfallsreicher Mann bekannt, hatte Louy das „Village Départ“ bei der Tour eingeführt und glaubte jetzt, dass man mehr tun müsse, um die langfristige Zukunft eines Sportereignisses zu sichern, das er von Dopingproblemen und einem zunehmenden öffentlichen Desinteresse bedroht sah. Unter der Leitung des Tour-Historikers Jacques Augendre, der mehr als 50 Frankreich-Rundfahrten miterlebt hat, diskutierte Louys Jury die Vorzüge jeder einzelnen Austragung und nahm etwa ein Dutzend in die Vorauswahl. Nach weiteren Debatten wurde die Tour von 1964 zur besten aller Zeiten gewählt. Das Rennen war das erste, das live im Fernsehen übertragen wurde, was, wie die Jury fand, sehr gut passte, denn es „war geprägt von vielen Wendungen des Schicksals, einem harten Kampf zwischen zwei großen Champions, Momenten der Schwäche und einer unglaublichen Spannung bis zum letzten Tag“.
 
Diese beiden großen Champions waren die Franzosen Jacques Anquetil und Raymond Poulidor. Anquetil ging als vierfacher Sieger in die Tour 1964 und wollte als erster Fahrer seit Fausto Coppi 1952 das Giro-Tour-Double perfekt machen. Poulidor wurde am ehesten zugetraut, ihn zu entthronen, zumal er zwei Monate zuvor die Vuelta a España gewonnen hatte. Poulidor hatte die Spanien-Rundfahrt, die damals Ende April begann, à la Anquetil gewonnen. In den ersten beiden Wochen schaute er zu, wie sich die drei Spanier im Ferrys-Team bekämpften, bevor er im langen abschließenden Zeitfahren an ihnen vorbeizog. An dem Tag, als Poulidor in Madrid feierte, schickte sich Anquetil beim Giro an, in Coppis Fußstapfen zu treten. Nach einem Sieg im Zeitfahren streifte er sich das Rosa Trikot über, das ihn zur unverkennbaren Zielscheibe für die einheimischen Fahrer machte. Anders als Poulidors Rivalen bei der Vuelta arbeiteten Anquetils Gegner gemeinsam gegen ihn. L’Équipe nannte es einen „Giro der Zermürbung“. Anquetil ließ sich den Sieg zwar nicht mehr nehmen, hatte sich aber – nur zwei Wochen später – beim Tour-Start in Rennes kaum von den Strapazen in Italien erholt.
 
Trotz seiner Erschöpfung hatte der Titelverteidiger seinem Rivalen Poulidor etwas voraus, ohne es jedoch selbst zu wissen. Auf Geheiß von Mercier-Teamchef Antonin Magne hatte sich Poulidor im Vorfeld der Tour den Anstieg zum Puy de Dôme angeschaut, von dem Magne glaubte, dass er rennentscheidend sein würde. Aber vielleicht, weil er auf die Schnelle nach Rennes musste, vergaß der Mercier-Kapitän seinem Boss zu sagen, dass er nur bis zur Mautstelle des Puy hatte fahren können. Dort angekommen, hatte er festgestellt, dass man mit Fahrrad nicht weiterfahren durfte, sodass er die letzten 4,5 Kilometer, wo die Steigung bis zu 13 Prozent beträgt, nicht in Augenschein nehmen konnte. Wenn das schon dumm gelaufen war, so sollten andere Zwischenfälle bald den Anschein erwecken, dass Poulidor selbst sein ärgster Feind war. Immer wenn Titelverteidiger Anquetil ins Hintertreffen geriet, bremsten Pech oder taktische Fehler den Herausforderer aus oder machten seinen Vorsprung auf den Rivalen zunichte. So war es zum Beispiel auf der 5. Etappe nach Freiburg im Breisgau nicht überraschend, dass Anquetils deutscher Teamkollege Rudi Altig sich früh mit einer Ausreißergruppe absetzte. Aber wie Mercier darauf reagierte, war erstaunlich.
 
Poulidors Mannschaft wartete zu lang, und als sie endlich die Verfolgung aufnahm, war es zu spät, sodass starke Kletterer wie Georges Groussard (Team Pelforth) und Joaquim Galera (KAS) mit mehr als fünf Minuten Vorsprung ins Ziel kamen und Altig (Saint-Raphaël) das Gelbe Trikot übernehmen konnte. Nach der Etappe sagte Poulidors Teamchef Antonin Magne zu ihm: „Es wird nicht einfach, diese beiden auszuschalten, zumal Pelforth nun mit Saint-Raphaël zusammenarbeiten wird, um ihre gemeinsamen Interessen zu verteidigen.“ Mit seiner Analyse traf er, wie sich herausstellen sollte, den Nagel auf den Kopf. Einen noch schwerwiegenderen Fehler machte Poulidor, als das Rennen nach Monaco führte. Zu dem Zeitpunkt schien er der stärkere der beiden französischen Favoriten zu sein: Er war Gesamt-Dritter hinter Groussard mit 4:07 Minuten Rückstand, während Anquetil mit 5:22 auf dem achten Platz lag. Die Etappe nach Monaco endete im Stade Louis II. Auf der Laufbahn des Stadions war es wichtig, auf Position zu fahren, als die 22 Fahrer in die Arena einbogen. Anquetil fuhr voran, Poulidor war an seinem Hinterrad. Als es auf die Linie zuging, sprintete Poulidor an ihm vorbei und warf jubelnd die Arme in die Luft, nur um zu sehen, wie Anquetil und 20 weitere Fahrer in seinem Windschatten an ihm vorbeiflogen. Die Fahrer mussten noch eine Runde auf der Bahn absolvieren. Am Ende gewann Anquetil vor Tom Simpson und nahm auch noch eine Bonusminute mit.
 
Aber Anquetil war nicht so hellwach wie sonst. Auf der Eröffnungsetappe in den Alpen bekam er nicht mit, dass Poulidor sich spät mit einer Ausreißergruppe abgesetzt hatte. Und einige Tage später machte er an einem Ruhetag in Andorra einen Fehler, der sich beinahe als katastrophal erwiesen hätte. Zu dem Zeitpunkt lag er knapp vor Poulidor, nachdem er das Zeitfahren gewonnen hatte. Sein Rivale war Zweiter geworden, und die beiden trennten nur 31 Sekunden, während Groussard noch in Gelb war. Aber es war allgemein bekannt, dass ein Wahrsager namens Bellini in der Presse vorhergesagt hatte, Anquetil werde auf der 14. Etappe von Andorra nach Toulouse schwer stürzen. Und es war ebenso bekannt, dass Anquetil für einige eher mystische Praktiken empfänglich war. Sein Teamchef, Raphaël Géminiani, sagte später über die Prophezeiung: „Jacques reagierte hypersensibel auf den Artikel, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen. Ich machte mich über den ‚Weissager‘ lustig, aber es gelang mir nicht, ihn zu beruhigen.“
 
Statt am Ruhetag eine Regenerationsfahrt zu machen, wollte sich Anquetil den ganzen Tag in seinem Zimmer einschließen. Aber Géminiani wollte nicht, dass er den ganzen Tag über Bellinis Worten brütete, und überredete ihn, an einem mechoui, einem marokkanischen Grillfest, teilzunehmen. Das Essen lieferte das unvergessliche Bild, wie Anquetil und Géminiani in dieselbe Lammkeule bissen. Es lieferte auch der Presse neuen Stoff, in den sie ihre Zähne schlagen konnte, als sie die Rivalität zwischen Anquetil und Poulidor weiter aufbauschte. Die Berichterstattung ließ Anquetil arrogant aussehen. Viele andere Fahrer nutzen die Szene freilich als Motivation und waren entschlossen, Anquetil die Quittung zu präsentieren. „Wir werden ihm helfen, das mechoui zu verdauen“, sagte Teamchef Raoul Rémy seinem Kapitän Bahamontes und instruierte den Spanier, vom Start weg zu attackieren, notfalls auch 20 Mal.

Die Etappe begann mit dem Port d’Envalira, und Bahamontes zögerte keine Sekunde, Rémys Anweisung in die Tat umzusetzen. Poulidor gehörte zu den wenigen, die mit dem spanischen Kletterer mithalten konnten, während Anquetil fast sofort zurückfiel. Sein Teamkollege Louis Rostollan nahm ihn bis zum Gipfel ins Schlepptau oder schob ihn sogar an, wenn Tour-Chef Jacques Goddet netterweise ein Auge zudrückte. Trotzdem war Anquetil, wie er gegenüber L’Équipe sagte, kurz vor der Kapitulation. „Sechs Kilometer vor dem Gipfel wollte ich fast aufgeben. Ich dachte, ich komme nie an. Wie soll ich das erklären? Der Ruhetag hat mich zurückgeworfen. Ich fahre nicht an einem Ruhetag. Ich bedaure das, ich hätte das tun sollen. Schon als die Steigung losging, fühlte ich mich schlecht. Ich erlebte einen Alptraum.“ Aus diesem entrückten Zustand wurde Anquetil schließlich von Géminiani herausgerissen, der neben ihm herfuhr und ihn anherrschte: „Herrgott noch mal, Jacques, du gehst mir wirklich auf den Geist. Wenn du sterben musst, mach das an der Spitze des Rennens. Stirb nicht vor dem Besenwagen.“ Danach, so Géminiani, schoss Anquetil „wie ein Verrückter“ in den Nebel hinein, der über dem Gipfel des Passes hing. Rostollan sagte: „Ich dachte mir: Weißt du was, Louis, das ist das letzte Mal, dass du ihn lebendig siehst.“

 

Während die meisten Fahrer vor ihm mit 20 km/h bergab fuhren, jagte Anquetil mit 60 km/h die Abfahrt hinunter. Im Tal dockte er sich an die Gruppe an, in der Groussard war, und die beiden bündelten ihre Kräfte – genau, wie Magne es befürchtet hatte. Sie hatten die Ausreißer 50 Kilometer vor dem Zielstrich gestellt. Wenn das für Poulidor schon schwer zu ertragen war, so sollte es noch schlimmer kommen – dank einer gebrochenen Speiche. 25 Kilometer vor dem Ziel wies Magne ihn an, anzuhalten und auf ein neues Rad umzusteigen. Poulidor sprang auf, friemelte aber noch an seinen Riemchenpedalen herum und hatte nur eine Hand am Lenker. Als der Mechaniker ihn anschieben wollte, brachte er ihn dadurch zu Fall. Obwohl Poulidor schnell wieder im Sattel saß, lag er bereits 200 Meter hinter der aufs Tempo drückenden Spitzengruppe, die er nicht mehr zu Gesicht bekam. Im Ziel hatte er zweieinhalb Minuten verloren. Der Mercier-Kapitän meldete sich mit einer der besten Vorstellungen seiner Karriere zurück. Statt auf die Etappe über die Pässe Peyresourde, Aspin, Tourmalet und Aubisque zu warten, um wieder ins Rennen zu kommen, reagierte er auf den Rückschlag gleich am nächsten Tag mit einer brillanten Soloattacke auf den schmalen Serpentinen des Col du Portillon. Er gewann die Etappe als Solist und hatte sich im Klassement auf winzige neun Sekunden an Anquetil herangeschoben, während Groussard immer noch rund eine Minute Vorsprung auf die beiden hatte. 
 
Doch das Schicksal schlug zwei Tage später beim Zeitfahren nach Bayonne schon wieder zu. Es war unglaublich – es sah so aus, als könne Poulidor Anquetil bei der Prüfung gegen die Uhr eine seltene Niederlage beibringen, bis ein Reifenschaden ihn zu einem zweiten tragikomischen Radwechsel zwang. Der Auslöser war Magne, weil er mit dem Mannschaftswagen nicht ganz zum Stillstand gekommen war, was dazu führte, dass der Mechaniker mit dem geschulterten Ersatzrad auf die Straße fiel. Während der Mechaniker noch am Boden lag, schnappte sich Poulidor die Maschine und fuhr ein paar Meter, bevor er merkte, dass der Lenker schief stand, weswegen er erneut absteigen und ihn richten musste. „Ich glaube, ich bin verflucht“, sagte er später zu L’Équipe. „Der kleinste Mini-Zwischenfall wird eine Katastrophe, wenn ich darin verwickelt bin.“ Jahre später sagte er Paul Howard, der das Buch „Sex, Lies and Handlebar Tape“ über Anquetil schrieb: „Ich verlor sehr viel Zeit und bis dahin hatte ich bei den Zwischenzeiten vorn gelegen. Ich glaube, an dem Tag hätte ich ihn geschlagen, und das hätte alles geändert … Er hätte nicht den Mut gehabt, auf dem Puy so dranzubleiben. Ich glaube, dass ich die Tour dort verloren habe. Wenn er das Zeitfahren verloren hätte, wäre alles vorbei gewesen. Seine Moral wäre weg gewesen.“ Stattdessen ging Anquetil mit dem Gelben Trikot und 56 Sekunden Vorsprung auf Poulidor aus dem Zeitfahren hervor. Die letzte Bergetappe der Tour 1964 ist als einer der großartigsten Tage in die Geschichte des Rennens eingegangen – der Tag, an dem sich Anquetil und Poulidor Ellenbogen an Ellenbogen den Puy de Dôme hinaufkämpften. Es war faszinierend anzuschauen. Aber war es das klassische Duell, als das es immer dargestellt wird?
 
Es war klar, dass Poulidor Anquetil auf dem Puy de Dôme 90 Sekunden abnehmen musste, um mit einem ausreichenden Polster in das abschließende Zeitfahren zu gehen. Aber wieder einmal vermasselte Mercier es taktisch, als Groussard eine Ausreißergruppe infiltrierte, die mehrere Minuten herausfuhr. Anquetil ließ das kalt. Er wollte nicht, dass Poulidor die Zeitbonifikation mitnahm, die dem Tagessieger und  dem Zweiten winkte, und machte keine Anstalten, die Ausreißer zu verfolgen. Aber das Mercier-Team erkannte, dass es die Fluchtgruppe einkassieren musste, um seinem Teamkapitän die Zeitgutschriften zu ermöglichen. Das gelang ihnen schließlich an den ersten Rampen des Vulkankegels. Danach blieb die Spitzengruppe zusammen, bis sie die Mautstelle erreichte, an der Poulidor bei seiner Erkundung nicht hatte weiterfahren dürfen. Als die Steigung auf 13 Prozent hochschnellte, attackierte Julio Jiménez. Poulidor wollte mitgehen, kam aber nicht schnell genug hinterher. Nur Bahamontes blieb seinem Landsmann auf den Fersen, sodass Anquetil und Poulidor vier Kilometer vor dem Gipfel Seite an Seite fuhren. Sie klebten weitere drei Kilometer aneinander, bis sich Poulidor davonschlich. Im Ziel hatte er 42 Sekunden auf Anquetil gutgemacht, der Gelb mit einem Vorsprung von 14 Sekunden verteidigt hatte. Die Entscheidung sollte am letzten Tag fallen, aber viele glaubten, dass Poulidor den Sieg dort hätte klarmachen können und müssen. Einer der Ersten, die am Gipfel mit Poulidor sprachen, war Louison Bobet. „Noch ist nichts verloren, aber du bist zu spät gegangen“, bemerkte Bobet. Poulidor sagte später: „Er hatte nicht unrecht.“ Die Frage ist auch, ob Poulidor die richtige Übersetzung gewählt hatte. Pierre Chany von L’Équipe verwies darauf, dass Bahamontes, der vorher auf dem Puy gewonnen hatte, mit 42 x 26 gefahren war, während Poulidor 42 x 25 aufgelegt hatte. „Dabei wolltest du sogar mit 42 x 24 fahren“, sagte Magne seinem Teamkapitän im Auto auf dem Weg ins Tal. „Du warst doch vor der Tour hier!“ Poulidor schwieg ein paar Sekunden und gab dann zu, dass er nicht den ganzen Anstieg hochgefahren war.
 
Géminiani hat von der Bedeutung, die der Etappe beigemessen wurde, nie etwas wissen wollen: „Aus dem Duell zwischen den beiden auf dem Gipfel wurde eine große Sache gemacht. Aber hören Sie mal, über was für ein lächerliches Duell wurde da geredet! Es passierte nichts auf dem Puy de Dôme … Poulidor hat selbst gesagt: ‚Wir waren beide auf den Knien.‘“ Anquetils Teamchef ist überzeugt, dass Magne es taktisch vermasselt hatte. „Poulidor hätte am Fuß des Puy de Dôme attackieren müssen, aber das hat er nicht, weil er nicht konnte … Was wir in Wirklichkeit gesehen haben, waren zwei Boxer im Ring, die sich keinen einzigen Schlag verpasst haben. Welcher Journalist kann so dumm sein, das als Duell zu bezeichnen? Die behaupten doch alles, nur um die Zeitung zu verkaufen. Und ich an Poulidors Stelle wäre zufrieden, weil ich mir sagen würde: ‚Die Journalisten haben ein Duell gesehen, wo keins war. Umso besser für mich, weil das meinen Fehler kaschiert.‘“ Géminiani hatte, wie er sagt, Anquetil instruiert, an der Seite seines Rivalen zu bleiben, damit er nicht entwischen konnte, gibt aber zu, dass Poulidor, wenn er es wirklich drauf angelegt hätte, zwei Minuten hätte herausfahren können. Stattdessen, so Géminiani, blieb Anquetil bis 900 Meter vor dem Zielstrich bei ihm und nahm dann etwas Tempo raus. Sein Ziel war einfach, nicht mehr als 55 Sekunden auf Poulidor zu verlieren, um im abschließenden Zeitfahren nach ihm zu starten. Und das gewann er knapp … wie erwartet. 
 
„Wir haben einen der größten Momente erlebt, den der Radsport uns je geboten hat, obwohl er bereits voller epischer Augenblicke ist … C’etait le Tour des Tours“, schwärmte Michel Clare in L’Équipe, nachdem Anquetil seinen fünften Titel perfekt gemacht hatte. Clares Chef, Tour-Direktor Jacques Goddet, war offenbar weniger überzeugt, als er Poulidors Vorstellung beschrieb: „Einmal mehr haben wir das Gefühl, dass dem Mann im violetten Trikot das innere Feuer fehlt, die Fähigkeit, über seine Grenzen hinauszugehen, die den Champion von großen Fahrern unterscheidet, und dass er die höchsten Weihen nicht erreicht hat, weil er unfähig war, die skrupellose Seite seines Charakters zu zeigen.“ Obwohl Anquetil zugab, die Tour 1964 sei „die schwerste, die ich je gefahren bin“ gewesen, lag das vor allem daran, dass er sich beim Giro so viel abverlangt hatte. Statt die Qualität seines Duells mit Poulidor bei der Tour zu preisen, hätte die Presse den Erfolg feiern sollen, der darin bestand, das erste Giro-Tour-Double nach Coppi perfekt gemacht zu haben. Und 1966 beschwerte er sich: „Es ist teuflisch, in solch einer symbiotischen Beziehung mit jemandem zu leben, der nicht schlechter und nicht besser ist als viele, die ich getroffen habe.“ Ein Jahr später war er noch ungnädiger: „Meiner Meinung nach widerspricht der Unterschied in der Menge und im Prestige unserer Siege jeglichem Begriff von Rivalität im Sport. Ich bin 80 Rennen mit Poulidor gefahren und habe 77 davon gewonnen. Für mich ist es ganz einfach. Es gab nie ein Anquetil-Poulidor-Duell. Das wurde schon vor Langem entschieden.“ Im Laufe der Jahre wurden die Geschehnisse der Tour 1964 mythisch überhöht. Es mag ein großartiges Rennen gewesen sein, aber es war ein Kampf zwischen Fahrern, die besser hätten sein können. Poulidor lieferte auf dem Portillon eine fabelhafte Vorstellung ab, während Anquetil, wie immer, genug tat, um zu gewinnen. Es mag toll gewesen sein – doch die beste Tour war es sicher nicht.



Cover Procycling Ausgabe 114

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 114.

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