Die Jungen

Die beiden Entdeckungen der Tour 2016 waren Romain Bardet und Adam Yates. Procycling untersucht die unterschiedlichen Wege, auf denen die beiden das Podium in Paris erreicht haben.

 

Nur 37 Sekunden trennten den Zweitplatzierten Romain Bardet vom viertplatzierten Adam Yates in der Endabrechnung der Tour de France 2016. Der Franzose und der Brite übertrafen alle Erwartungen, vielleicht sogar ihre eigenen – Bardets beste Platzierung bei der Tour war zuvor ein sechster Rang 2014, während Yates, der 2015 auf den 50. Platz gekommen war, den ersten echten Anlauf auf die Gesamtwertung einer großen Rundfahrt unternahm. Nairo Quintana stand im Gesamtklassement zwischen ihnen, auf dem dritten Platz, als Gewinner des Weißen Trikots durfte Yates dennoch auf das Podium auf den Champs-Élysées steigen. Letztes Jahr um diese Zeit galt Quintana als der Mann, der Froome am ehesten würde schlagen können, ein zweifacher Gewinner des Weißen Trikots, der nach zwei zweiten Plätzen schließlich auf dem obersten Treppchen stehen könnte. Aber Quintana konnte bei der Tour 2016 kaum etwas ausrichten – seine Form war zu schwach, was sein Team mit einer möglichen Allergie erklärte. Über seinen dritten Gesamtplatz konnte er noch froh sein, nachdem er in den Bergen regelmäßig zurückfiel und ein schwaches Zeitfahren in der Ardèche ablieferte.

Aber jetzt scheinen Yates und Bardet die Herausforderer zu sein, eher als Quintana. Als Quintana bei seiner ersten Tour 2013 Zweiter wurde, war er 23 Jahre alt und verlor 4:20 Minuten auf den Sieger Froome (eine Sekunde weniger als in diesem Jahr). Yates war am Ende der Tour 2016 23 Jahre alt (er wurde am 7. August 24) und büßte 4:42 Minuten auf Froome ein, während er in der Gesamtwertung zwei Plätze weiter hinten lag. Bardets Weg auf das Podium war ein viel gleichmäßigerer: 2013 wurde er mit 22 Jahren 15. mit 26:42 Minuten Rückstand auf Froome. 2014 war er Sechster, wobei er im Laufe des Rennens 11:26 Minuten auf den Sieger Vincenzo Nibali verlor. Einen Schritt zurück machte er 2015, als er Neunter wurde und seine Tour mit einem Bergetappensieg in Saint Jean de Maurienne rettete. Dieses Jahr büßte er als Zweitplatzierter 4:05 Minuten auf Froome ein. Es ist dazu aufschlussreich, sich die Top Ten sowie Bardets und Yates’ Platz in der Hierarchie anzuschauen. Der 31 Jahre alte Sieger Froome ist im besten Rennfahreralter und der drittplatzierte Quintana scheint seit 2015 keine Fortschritte gemacht zu haben. Hinter Bardet und Yates ist der fünftplatzierte Richie Porte 31 Jahre alt – ein Spätentwickler und unbeständiger Fahrer, der endlich eine dreiwöchige Offensive bei einer Grand Tour durchgezogen hat, aber dem die Zeit ausgeht, um darauf aufzubauen. Alejandro Valverde und Joaquim Rodríguez, Sechster und Siebter, sind 36 beziehungsweise 37 Jahre alt. Der einzige andere junge Fahrer in den Top Ten ist der 24 Jahre alte Louis Meintjes, der Achter wurde. Dan Martin und Roman Kreuziger, die die Top Ten komplettierten, sind 29 und 30. Außer Meintjes scheinen sich die anderen Fahrer in den Top Ten nicht mehr großartig steigern zu können.

Bei einer Tour, die durch fehlende Angriffe unter den Favoriten geprägt war – vor allem aufgrund der Stärke der Sky-Bergleutnants –, entstanden die Abstände in den Top Ten vor allem dank der Zeitfahren und eines erodierenden Eliminierungsprozesses bei den Bergankünften. Yates attackierte auf der 7. Etappe am Col d’Aspin und holte Zeit heraus, obwohl er vom zusammenfallenden Kilometer-Banner vom Rad geholt wurde. Aber danach fuhr er ein vorsichtiges und kluges Rennen, bei dem er den besten Fahrern bei den Bergankünften immer folgen konnte und sogar noch zur Linie sprintete. Am Ventoux und in Finhaut-Emosson kam er an der Spitze seiner Gruppe ins Ziel. Er ließ in den mittleren Alpen-Abschnitten nach, angefangen mit dem Zeitfahren nach Megève auf der 18. Etappe, doch auf der 20. Etappe herrschte Stillstand zwischen ihm und seinen Rivalen, und er fuhr mit der Spitzengruppe über den Col du Joux Plane nach Morzine, im strömenden Regen. Bardet fuhr ein ganz anderes Rennen. Während Orica-BikeExchange-Teammanager Matt White sagte, das Team versuche Yates beizubringen, seine Angriffslust zu zügeln und sich seine Kraft für drei Wochen besser einzuteilen, war Bardet der einzige Klassementfahrer, der Froome nennenswerte Zeit abnehmen konnte, indem er auf einer Bergetappe attackierte. Sein superber Doppelangriff mit seinem AG2R-Teamkollegen Mickaël Cherel in der letzten Abfahrt der 19. Etappe, die ihm am Fuß des Schlussanstiegs nach Le Bettex einen Vorsprung von einer Minute einbrachte, war das erste Mal, dass Sky einen ernsthaften Rivalen aus dem Blick verlor. Dass Froome in derselben Abfahrt stürzte und Sky die Verfolgungsjagd unterbrechen musste, tat auch etwas zur Sache, obwohl Bardets Abfahrkünste eine seiner schärfsten Waffen sind, und man könnte sagen, dass genug gewartet wurde, wenn Leute bei der Tour 2016 stürzten. So oder so nahm Bardet Froome in Le Bettex 36 Sekunden ab plus zehn Sekunden Zeitgutschrift, und seine Aggressivität und Fähigkeit, sich seine Verfolger vom Leib zu halten, waren die Qualitäten, die ihn aufs Podium brachten.

Auch war Bardet in den Alpen viel stärker als Yates. Vergleicht man die Zeit, die die beiden Fahrer aufeinander herausgefahren haben, so hat Yates auf der 7., 9. und 13. sowie der 17. an Boden gewonnen. Bardet hatte keine einzige Sekunde gut gemacht auf Yates bis zur 18. Etappe, in die er mit einem Defizit von 1:23 Minuten auf den Briten ging. Er wendete das Blatt in Megève und Le Bettex, bevor er im Sprint in Morzine noch einmal zwei Sekunden herausholte. Werden Yates oder Bardet die Tour gewinnen? Wie Nairo Quintana Ihnen erzählen wird, sind konstant hohe Platzierungen keine Garantie, Gelb zu gewinnen, und beide Fahrer verloren viel Zeit auf Froome gegen die Uhr. Außer wenn die ASO die Zahl der Zeitfahr-Kilometer reduziert (was nicht undenkbar ist angesichts der Effizienz, mit der Froome sie nutzte, um das Rennen in diesem Jahr zu killen), werden beide Fahrer daran arbeiten müssen. Insgesamt war Yates beständiger, aber Bardet hatte die Nerven und die Zähigkeit um anzugreifen, statt seine Position zu verteidigen, wie Yates es tat. Andererseits hat Yates weniger Erfahrung bei der Tour – wenn er reift, wird er wissen, wo er angreifen kann. Bei einer Tour, wo das Rennen um das Gelbe Trikot einmal mehr früh entschieden war, lieferten Bardets und Yates’ Kampf um die Podiumsplätze der Tour eine ihrer unterhaltsamsten Nebenhandlungen. Wenn sie sich noch ein bisschen steigern, werden diese beiden Fahrer den Kampf um Gelb in Zukunft spannender machen.
 
Diese und 20 weitere Geschichte zu den restlichen Etappen der Tour 2016 finden Sie in Procycling 09/16



Cover Procycling Ausgabe 151

Den vollständingen Artikel finden Sie in Procycling Ausgabe 151.

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